Die Leipziger Buchmesse ist zwar gefühlt schon Monate vorbei, hatte aber mit »Neuland 2.0« erstmalig ein Forum für branchenrelevante Startups eingerichtet, über das hier unbedingt berichtet werden soll. Ein Artikel von bookbytes-Blogger Knut Nicholas Krause aus dem »Startup-Village«.
Die Leipziger Buchmesse wartete also auch mit Highlights und Innovationen rund um die traditionelle und digitale Verlagswelt auf. Ein solches innovatives Highlight war das Forum »Neuland 2.0«. Erstmals hatten ausgewählte Startups die Möglichkeit, sich und Ihre außergewöhnlichen Produkte und Ideen im »Startup-Village« zu präsentieren. Die Bedingungen für die Teilnahme waren klar: für den Auftritt als Neuland 2.0-Bewohner hatten sich mehr als 30 Unternehmen beworben, deren Produkte nicht älter als fünf Jahre sein durften und die für die Buch- und Medienbranche relevant sein mussten. Die 14 besten Ideen wurden von einer Fachjury zur Messe geladen.
Im Fokus der Startups standen eindeutig die digitalen Entwicklungen, die entweder dem Benutzerkomfort, der Bildung oder dem besonderen, interaktiven Leseerlebnis dienen. Locker und gemütlich war es im Neuland 2.0: Kicker, Kaffeebar und jede Menge Möglichkeiten, die Prototypen zu testen. Im Mittelpunkt stand ein Publikumsvoting um die beste Startup-Idee, die nach den je 5-minütigen Pitches der Unternehmen gewählt wurde.
Die Pitch Time am Freitag konnte das Berliner Startup link.fish für sich entscheiden. Am Samstag war die erst Anfang März erschienene App Papego des Hamburger Unternehmens Briends der klare Publikumsfavorit. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die beiden Favoriten und die Innovationen von Morgen zu werfen.
Papego
Gemäß der technischen Entwicklung unserer Branche, die zunehmend Dinge aus der analogen in die digitale Welt überträgt, erlaubt Papego den nahtlosen Switch zwischen Print und Digital: Die kostenlose App ermöglicht dem Leser das digitale Weiterlesen gedruckter Bücher auf Smartphones und Tablets. Einfach die gedruckte Seite in der App scannen, das Haus verlassen, und auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn direkt auf dem Tablet die »richtige Seite aufschlagen«. Was so einfach klingt, funktioniert derzeit allerdings nur bei 25% des Buches. Und auch nur bei speziellen Büchern. Als erster Vertragspartner bringt Piper seit Anfang März Papego-fähige Bücher in den Handel. Der Anfang ist also getan.
link.fish
link.fish konnte das Publikum mit ihrem gleichnamigen Web-Information-Manager überzeugen. Darunter kann man sich eine Art Bookmarking-Tool vorstellen, das dabei hilft, interessante Inhalte aus verschiedenen Websites und URLs zu sammeln. Diese werden dann in einer Art grafisch aufgearbeiteter, einheitlicher Übersichtsliste dargestellt. So kann man sich zum Beispiel aus verschiedenen Websites interessante Kochrezepte, Buchkritiken oder Reisetipps zusammensammeln und sich daraus eigene »Hitlisten« und Übersichten erstellen. Ziemlich nützlich und ein gutes Tool für diejenigen, die nicht nur einfach Lesezeichen abspeichern wollen, sondern Informationen nett gestaltet und an einem Ort haben möchten.
Spritz Technology
Dem benutzerfreundlichen – und schnellen – Lesen hat sich auch die extra aus Boston angereiste Firma Spritz Technology verschrieben. Ihre neue Lesetechnologie Spritz mit eigens entwickeltem E-Reader Spritzhead sieht der Nutzer nicht den vollständigen Text, sondern immer nur ein Wort. Dadurch müssen die Augen nicht mehr hin und her bewegt werden. So kann die Lesegeschwindigkeit massiv gesteigert und das Ermüden der Augen vermindert werden – bis zu fünf Mal schneller soll der geübte »Spritzer« damit lesen können, fokussiertes Leseerlebnis und höchstes Verständnis inklusive. Ein Selbsttest auf http://spritzinc.com/ hat gezeigt: Gewöhnungsbedürftig, aber sehr interessant. Ich muss gestehen, 700 Wörter pro Minute sind eine echte Herausforderung. Zumindest für das ungeübte, an Fließtext gewöhnte Auge.
Pixelcraftbooks
Das digitale Leseerlebnis erfreulicher zu gestalten und die Bereitstellung von digitalen Inhalten zu vereinfachen, hat sich das Leipziger Startup pixelcraftbooks zum Ziel gesetzt. Präsentiert wurde ein Prototyp von pixelcraft.pub. Dies ist ein auf Open Source basiertes digital publishing framework, das es einem erlaubt, verschiedene Formen von Content (Text, Bild, Video…) auf einfache Art und Weise in responsive HTML umzuwandeln – und so ein interaktives, im Browser lesbares Buch zu erzeugen. Dieses Buch kann sich auch mit den verschiedenen Lesegeräten (Desktop, Tablet, Smartphone) synchronisieren, so dass man dort weiterlesen kann, wo man das letzte Mal im anderen Device aufgehört hat. Auch eCommerce-Funktionalität (im Buch kaufen) ist im Standard verfügbar.
Pixelcraft beeindruckte auch mit einer Anwendung die es Besuchern erlaubte, über ein auf der Messe erzeugtes eigenes WLAN vorkonfigurierte E-Books auf allen denkbaren Devices zu lesen. Der Anwendungsmöglichkeitn dieser Idee sind kaum Grenzen gesetzt. Verlage können auf Buchmessen und Kongressen ihre komplette E-Book-Backlist zeigen, Buchhandlungen können im Laden ein kuratiertes Sortiment von E-Books sichtbar machen. Und ein Shop kann diese E-Books sofort käuflich machen.
Überhaupt arbeitet Pixelcraftbooks an diversen Projekten, die das digitale Lesen revolutionieren sollen, z.B. auch an neuartigen, bildweltenbasierten Lese-Empfehlungen, also einer anderen Art von Recommendation-Engine, die abhängig von der aktuellen Stimmungslage des Lesers andere Bücher empfiehlt.
Blinkist
Um das schnelle Herausfiltern und konzentrierte Aufnehmen von Informationen geht es auch bei der App Blinkist von Blinks Labs. Der digitale Service bietet quasi die »schnelle Bildung für zwischendurch«. Im für Mobilgeräte optimierten Format werden die wichtigsten Kernaussagen aus Sachbüchern gefiltert. Praktisch für alle, die beim Warten auf den Bus auf die Zigarette zum Zeitvertreib verzichten und sich derweil lieber bilden wollen. So offen und von ihrem Produkt begeistert wie in folgendem Spot präsentierten sich auch die Mitarbeiter an ihrem Stand (keine Angst, das Video dauert weder 12 noch 15 Minuten, sondern nur 1:03 min):
(Bitte klicken Sie auf das Bild, um das YouTube Video anschauen zu können.)
Blinkist ist seit 2013 auf dem Markt. Pro Woche werden circa 14 Bücher in die Datenbank mit aufgenommen. Zu Beginn der 3-tägigen kostenlosen Testversion kann man erst die für sich relevanten Kategorien aus Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Management, Psychologie oder Geschichte auswählen. Im nächsten Schritt dann die konkreten Bücher, für deren Kernaussagen man sich interessiert. Perfekt für alle, die erst wissen wollen, was drinsteht, bevor sie das Buch lesen (wobei das Werbevideo eher Menschen zeigt, die die wichtigsten Sachen wissen wollen, OHNE das ganze Buch zu lesen).
Ein wesentlicher Haken im Ansatz von Blinkist ist meines Erachtens, dass diese (nach allem, was ich höre, exzellenten) Zusammenfassungen von Menschen (und nicht von Maschinen!) geschrieben werden – und deshalb werden »nur« 14 Bücher pro Woche »geblinkt«. Damit es Spaß macht, Blinkist zu nutzen konzentriert sich Blinkist aber natürlich auf möglichst gängige Titel und versucht, deren Autoren und Verlage für die Idee zu gewinnen.
Suddenlife Gaming
Das Rad nicht neu erfunden, aber definitiv ein spannendes Konzept entwickelt hat die Leipziger Firma Thadeus Roth – Alternate Reality Stories mit ihrem Suddenlife Gaming. Wer sich jetzt fragt »Suddenlife what?«: Es geht um interaktive Bücher und Geschichten, die den Leser Teil der Handlung werden lassen. »Combined Infrastructure and Media Management System (CIMMS)« heißt der korrekte Ausdruck. Wie beim beliebten Krimidinner ist der Leser nicht nur einfacher Zuschauer, sondern wird aktiv in die Handlung einbezogen. Und das auf allen Kanälen. Ihn erreichen Briefe, Mails und Anrufe, bei denen er Informationen erhält und Aufträge kriegt, die erfüllt werden müssen, um die Fälle zu lösen. Diese Art des Real Time- bzw. Branded Entertainments hat zwar schon lang Einzug sowohl in die Buch-, als auch in die Marketingwelt gehalten, hat den Markt jedoch bislang noch nicht stark durchdrungen. Vielleicht kann Thadeus Roth ja dazu beitragen …
log.os
Die Themen Online Plattformen und Online-Austausch waren gleich mehrfach vertreten. log.os zum Beispiel ist eine Art soziales Netzwerk für Literatur. Das Prinzip, eine Community zu gründen, in der Bücher diskutiert und bewertet werden, ist bekannt. Es aber direkt an einen Marktplatz, auf dem die Bücher gekauft werden können, und den Usern eigene Timelines und jede Menge weiterer Features zu bieten, ist aber durchaus eine schöne Idee. Das steigert den Spaß am gemeinsamen Lesen und an der Literatur!
lituro
Damit auch Autoren die Bekanntheit und Reichweite ihrer Werke steigern können, wurde die Plattform lituro entwickelt. Mit nur wenigen Klicks können sich die Autoren hier eine Autorenseite einrichten, ihre Bücher vorstellen und mit ihren Lesern und anderen Autoren in Kontakt treten. Dieser interaktive Austausch ist eine schöne Sache, zumal auch Verlage den Service nutzen könnten, um ihr Image und ihre Kundenbindung zu stärken. Damit es funktioniert, muss lituro natürlich auch traffic auf ihre Seite kriegen …
mBook
Dass auch unser Schulsystem den Weg in das digitale Leben findet, will das Institut für Digitales Lernen mit mBook zeigen (nicht zu verwechseln mit der Empfehlungsplattform myBook). mBook ist ein browserbasiertes, lehrplankonformes multimediales Schulbuch. Verfügbar ist das mBook derzeit für das Fach Geschichte und kann deutschlandweit eingesetzt werden. Die Idee kommt gut an und wurde bereits mit dem Deutschen eBook Award und vom Georg-Ecker-Institut mit dem Sonderpreis als Schulbuch des Jahres 2016 ausgezeichnet.
Beemgee
An Verlage und Autoren wurde natürlich ebenfalls gedacht. Beemgee aus Berlin stellten ihr gleichnamiges Web-basiertes Kollaborationstool vor. Autoren und Lektoren können online gemeinsam Geschichten entwickeln, sie durch virtuelle Karteikarten und Post-Its mit wenigen Klicks strukturieren – man merkt, nicht nur das Lesen soll zukünftig beschleunigt werden, sondern das Schreiben auch. 29,90€ kostet das Tool pro Jahr. Bei den Anwendern scheint es auch recht gut anzukommen. Aus meiner Sicht steht es in Konkurrenz zu dem aus dem Silicon Valley stammenden Tool Quip.
Saralon
Um das gedruckte Buch geht es auch bei der Saralon GmbH. Diese haben innovative Tinten entwickelt, durch welche elektronische Anwendungen mittels konventionellen Druckprozessen gefertigt werden können. Somit ergeben sich eine Reihe interessanter Möglichkeiten für die interaktive Kundenkommunikation am Point of Sale. Die Erfinder stellten interaktive Buchcover vor, die gedruckt werden können. Die Technologie lässt sich auch mehrfach einsetzen, z. B. als Fälschungsschutz, Diebstahlsicherung etc.
Im Kern kann Saralon Batterien, Displays und berührungssensitive Schalter DRUCKEN. Dadurch kann man Verpackungen aller Art (eben auch Buch-Cover) interaktiv machen:
(Bitte klicken Sie auf das Bild, um das Vimeo Video anschauen zu können.)
Das Video zeigt, wie man – abhängig von zwei Systemzuständen – zwei unterschiedliche Grafiken einschalten kann. Es gibt das statt eines solchen Displays auch als „Beleuchtung“, dann leuchtet z.B. der Drachen auf dem Buchcover in hellblau auf …
Rightdesk
Ein sehr nützlicher Service ist Rightsdesk. Eine Online-Plattform für den Austausch von internationalen Lizenzrechten. Rechte online zu vermarkten ist für Verlage in unserer schnelllebigen, digitalen Welt ein interessanter Ansatz – und scheint gut anzukommen, der Katalog des Schweizer Start-Ups umfasst immerhin bereits 10.000 kuratierte Titel. Die Meisten davon sind Übersetzungsrechte. Die Gründer suchen zurzeit auch international nach Partneragenturen. So wird man also vielleicht noch viel von ihnen hören.
Knowhere
Auch für alle Weltentdecker und Online-Reiseplaner war ein junges Hamburger Unternehmen mit einer neuen Buchungs-App am Start: knowhere zeigt nicht einfach die üblichen Buchungsmasken, sondern zeigt dem Benutzer individuell auf seine Präferenzen abgestimmte Fotos von Destinationen und Unterkünften, die direkt Fernweh auslösen sollen. Man entscheidet also quasi anhand der Bilder, für welches Reiseziel man sich interessiert. Zusätzlich erhält man noch allerlei Informationen über die Region, Wetter, usw. Nicht wirklich neuartig, aber auf jeden Fall eine kleine Diversifikation im gut gefüllten Markt der Online-Reisesuchmaschinen. Bisher leider nur für Android-Geräte verfügbar.
Sensape
Künstliche Intelligenz durfte natürlich bei den Unternehmern von Morgen auch nicht fehlen. Sensape, ein Hard- und Software-Bundle mit Computer, Monitor und Bildsensor, erkennt nicht nur die Emotionen seines Gegenübers, sondern kann auch – unter anderem – Alter und Geschlecht erkennen. Das ermöglicht dem »Sensape Chimp«, individuell auf den Benutzer einzugehen und mit ihm zu interagieren – und ganz nebenbei Kundeninformationen für das Unternehmen zu sammeln. Das eröffnet natürlich eine ganze Reihe an Möglichkeiten für individuelles Marketing, Kundenaktivierung und Zielgruppenforschung und trifft somit genau den Zahn der Zeit – und der Zukunft „Wir revolutionieren Ihre Kundenansprache“ versprechen die Entwickler dementsprechend. Das Ausprobieren des »Digital Signage Systems« war natürlich eines der Highlights im Startup-Village.
Der große Besucherandrang im Startup-Village (gerade am späteren Nachmittag) hat gezeigt, dass das Interesse an Innovationen und digitalen Neuheiten in der deutschen Buchbranche groß ist. Nicht nur die Leser, sondern auch das Fachpublikum kam zum Schauen, Ausprobieren, Fragen und um sich inspirieren zu lassen. Die Initiatoren können mit Sicherheit stolz auf diesen gelungenen Auftakt auf der Leipziger Buchmesse.
Zugegeben, die vorgestellten Apps und Services revolutionieren die Buchbranche nicht direkt von Grund auf. Die gezeigten Innovationen finden vielmehr eine Nische und verbessern etwas, was es in ähnlicher Form schon gibt – teilweise aber auf beeindruckende und sehr lohnenswerte Art und Weise. Allein die vielen Anmeldungen zeigen, dass wir uns keine Sorgen um den technischen Fortschritt und das Ideenreichtum der digitalen Generation machen müssen. Ganz im Gegenteil. Man kann sich jetzt schon auf die nächste Leipziger Buchmesse und viele weitere, spannende Neuheiten freuen. Und gespannt sein, was man von den diesjährigen Kandidaten in Zukunft noch hören wird!
Photo by Sharon McCutcheon on Unsplash
Knut Nicholas Krause M.Sc., CEO und Gründer von knk, ist seit 1986 als IT Berater für Mittelstandsunternehmen aktiv. Als Sohn eines Ressortleiters der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gründete er knk 1988 und spezialisierte sich auf die Entwicklung von knkVerlag, der einzigen Microsoft zertifizierten Verlagssoftware weltweit. Er ist Ideengeber und Visionär, der sich ausführlich mit Branchentrends innerhalb der Verlagsbranche auseinandersetzt und sie in die Weiterentwicklung von knkVerlag miteinbezieht.