Ein auf der Buchmesse aufgeschnapptes Gerücht besagt, dass sich Kochbücher mit AR-Erweiterungen um 30% besser verkaufen, als vergleichbare Titel ohne solche Zusatznutzen. Wird das bei Malbüchern auch so sein?

Wenn das Gerücht stimmt, dass sich Kochbücher eines bekannten Münchener Ratgeberverlages, die mit Augmented-Reality-Ergänzungen versehen sind, um 30% besser verkaufen als vergleichbare Titel ohne solche Zusätze, würde ich darauf tippen, dass dieser Mehrumsatz die Kosten des Zusatz-Contents locker einspielt und dass dies also eine sehr lukrative Angelegenheit ist. Daher beflügelt dieses Gerücht meine Phantasie: Gewiss gibt es noch ganz andere Einsatzmöglichkeiten und Marktlücken. Gerade habe ich eine Anwendung im Bereich von Kinder-Malbüchern entdeckt – und das ist kein Gerücht, wie ich gleich anhand eines kleinen Videos belegen werde.

Und zwar habe ich auf der diesjährigen Buchmesse den Stand eines kleinen russischen Verlages entdeckt, den ich sowohl aus technischer als auch aus kaufmännisch-verlegerischer Sicht spannend fand: Dort wurden verschiedene Möglichkeiten präsentiert, Augmented Reality gewinnbringend in Kinder- und Erwachsenen-Malbüchern zu verwenden – und zwar fertig und sofort vermarktbar. Keine Prototypen, sondern als verkaufbare, lizensierfähige Software-Produkte und auch auf Inhalte fremder Verlage anwendbar. Manche dieser Anwendungsmöglichkeiten überzeugten mich nicht. Aber es waren Anwendungen dabei, die mich beeindruckten.

Insgesamt freut es mich, dass die Frankfurter Buchmesse moderner und innovativer wird. Inzwischen findet man dort nicht nur literarische, sondern auch technische Innovationen. Die Branche beginnt, die Chancen der Digitalisierung in Kundennutzen umzuwandeln.

Aus den verschiedenen, gezeigten AR-Anwendungen möchte ich hier ein Malbuch vorstellen, in dem man sein Rennauto mit Bunt- oder Filzstiften so gestalten kann, wie man möchte. Dazu gibt es dann eine Tablet- und Smartphone-App, mit der man genau dieses selbstgestaltete Auto zum Leben erwecken kann. Wenn das Auto fertig gemalt ist, schnappt man sich das elterliche Smartphone (das sind die ja schon gewöhnt), startet die App, hält die Kamera über das selbst gestaltete Bild – und schon kann man mit genau diesem Auto, so bemalt, wie es im Buche ist, auf dem Küchentisch oder dem Wohnzimmerteppich herumfahren. Wenn der Freund die gleiche App hat, kann man mit ihm und seinem Auto im Wohnzimmer um die Wette fahren.

Das mit dem »Um-die-Wette«-Fahren hatte sich der russische Verlag auch schon überlegt. Allerdings in Form einer richtigen Auto-Rennen-App: In dieser zweiten Anwendung der App kann man mit dem selbstgemalten Auto gegen andere Autos Rennen fahren. Ein ganz normales Computerspiel, aber eben mit dem eigenen Auto aus dem Malbuch.

Wer aber wird solche »erweiterten« Malbücher kaufen – und warum? Was wäre der Nutzwert? Wenn ich mir überlege, wie ich mir eine ideale Augmented-Reality-Erweiterung für ein Kochbuch vorstelle, würde ich eigentlich an folgendes denken: Eine Anwendung, die mich (in Echtzeit) beim Kochen in meiner eigenen Küche daran erinnertt, dass ich beim Wirsingkohl putzen, schon mal die Speckwürfel anbraten sollte. Natürlich würde ich gerne sehen (am besten mit meinen eigenen Küchengeräten animiert), wie ich den Wirsingkohl dann blanchiere – und ob die Speckwürfel nun schon zu schwarz geraten oder gerade noch genießbar sind …

Das würde eine Menge Sensorik, Rechenleistung und algorithmisiertes Erfahrungswissen benötigen. Daher sieht die »Augmented-Reality-Praxis« (noch?) nicht so aus. Heute geht es eher um Anwendungen wie Rezeptmerker, Aufgabenlisten-Ersteller, um Einkaufslisten-Ersteller und Shop-Finder. Bei all diesem ist diskutierbar, ob das wirklich schon zum Thema »Augmented Reality« gehört. Trotzdem bieten diese – im Grunde kleinen – Anwendungen aber konkreten Nutzwert und das oben genannte Gerücht erscheint mir zumindest plausibel.
Den Nutzwert von solchen AR-Anwendungen in Kochbüchern mit dem oben beschriebenen Spielespaß zu vergleichen, fällt mir schwer. Doch könnte ich mir bei geeigneter Vermarktung durchaus vorstellen, Malbücher mit solchen (echten) Augmented-Reality-Erweiterungen zu 30% höheren Preisen bei gleicher Absatzmenge oder bei gleichen Preisen zu 30% höherer Absatzmenge zu verkaufen (lieber ersteres, bin ja Kaufmann).

Und wenn ich so über den Kaufprozess, die Kaufbeeinflusser und die Demografie der Käufer (Eltern, Großeltern | Anzahl Kinder pro Großeltern | Kaufkraft | Wert, die die Eltern der Tätigkeit »Malen« zuweisen etc.) nachdenke, könnte ich mir sogar vorstellen, dass man 30% höhere Preise und (!) eine 30% höhere Absatzmenge gleichzeitig schaffen könnte.
Man müsste nur früh dabei sein und ein gutes Werbe-Signet und einen einprägsamen Markennamen finden: Die Bücher müssten eltern- und kindgerecht gekennzeichnet sein. Und Kinder müssten ihre Spielkameraden fragen können: »Hast Du auch schon ein XY-Malbuch?«

Entsprechende technik-begeisterte Early-Adopter-Eltern wird man ganz klassisch über Presse- und Öffentlichkeitsarbeit finden. Und die anderen Eltern werden dann staunen, wenn sie im Laden gerade ein konventionelles Malbuch in der Hand haben und dann am Rockzipfel gezupft werden: »Kann ich nicht lieber ein XY-Malbuch haben?« Dieser XY-Markenname sollte allerdings wohl nicht so sehr nach »Augmented Reality«, »Medienkonsum« und »Gaming«, sondern besser nach »Pixi«, »Olchis« oder »tip toi« klingen …

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